Jürgen Grahl

Stromsteuerbefreiung für regenerative Energien?

Gut gemeint, aber wenig hilfreich

(28.12.2001, überarbeitet 24.11.2003)

Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint es in der Tat nicht recht nachvollziehbar: Nicht anders als fossiler und atomarer Strom, dem die Ökosteuer doch "eigentlich" gelten sollte, wird auch "ökologisch korrekt" erzeugter Regenerativstrom mit der Stromsteuer belastet.

Die Umweltverbände fordern die Beseitigung des vermeintlichen Missstandes, die Opposition hat einen weiteren Grund, um gegen die "Absurdität des gesamten Ökosteuer-Konzeptes" zu polemisieren, und selbst die Architekten und Protagonisten der ökologischen Steuerreform vermitteln den Eindruck, als sei die Steuerpflicht für Erneuerbare eine ungeliebte Kröte, die man der EU-Wettbewerbskommission zuliebe hatte schlucken müssen, und als reduziere sich die angestrebte "Weiterentwicklung" der ökologischen Steuerreform im Wesentlichen darauf, eine Stromsteuerbefreiung für Erneuerbare durchzusetzen.

Nehmen wir die Frage einer solchen Steuerbefreiung also etwas genauer unter die Lupe. Als außerordentlich hilfreich erweist es sich dabei, das Problem erst einmal aus der langfristigen Perspektive zu betrachten und uns unsere zentralen Ziele für die nächsten 50 Jahre zu vergegenwärtigen:

(1) die 100%ige Umstellung unserer Energieversorgung auf erneuerbare Energien und

(2) der ökologische Umbau unseres Wirtschafts- und Steuersystems.

Wie in zahlreichen Artikeln, insbesondere "Die ökologische Steuerreform - Arbeit und Wohlstand für alle", ausführlich dargelegt, ergibt sich die Notwendigkeit der "ökologischen" Steuerreform keinesfalls allein aus ökologischen Erwägungen; als mindestens ebenso bedeutsam erweist sich ihre wirtschaftliche und soziale Dimension: Die eklatante Schieflage zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Energie (genauer: die Diskrepanz zwischen Faktorkostenanteilen und Produktionselastizitäten) erfordert die weitgehende Verlagerung der gesamten Steuer- und Abgabenlast von der Arbeit hin zur Energie. Langfristig müssen die Staatsaufgaben wie auch die sozialen Sicherungssysteme zum größten Teil über Umwelt-, insbesondere Energiesteuern finanziert werden, um die Erosion der derzeitigen Finanzierungsbasis - des Faktors Arbeit - zu stoppen und Massenarbeitslosigkeit, Krise der Sozialsysteme, Staatsverschuldung und die Wachstumsabhängigkeit unserer Wirtschaft zu überwinden.

Von dieser Warte aus betrachtet, gibt es eigentlich keine Rechtfertigung für eine dauerhafte Steuerfreistellung der Erneuerbaren: Denn im Endzustand eines komplett regenerativen Energiesystems würde sonst ja die Besteuerungsgrundlage entfallen. Argumentiert man (wie in den Anfangstagen der Ökosteuerdiskussion) rein ökologisch mit der Internalisierung der externen Kosten, dann wäre das nicht einmal sonderlich tragisch: Bei dieser Betrachtungsweise würde die Ökosteuer (im Sinne einer Schadstoff- bzw. Pigou-Steuer) lediglich die Reparatur der von den konventionellen Energien angerichteten Schäden finanzieren, wäre also nach deren vollständiger Ablösung entbehrlich (sofern man die relativ geringen externen Kosten der Erneuerbaren außer acht lässt). Bedenkt man jedoch die Schieflage zwischen Energie und Arbeit, die ja unabhängig von der Art der Energieerzeugung (fossil-atomar oder regenerativ) besteht, so wird klar, dass auch in einer vollständig regenerativen Energiewirtschaft der Faktor Energie einen sehr wesentlichen Anteil an der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und der Staatsaufgaben tragen muss, also keinesfalls von der Steuer befreit werden kann. Eine dauerhafte Steuerbefreiung für Regenerative würde zur Inkompatibilität der beiden o.g. zentralen Ziele (1) und (2) führen.

Nun könnte man einwenden, diese Argumentation sei ja nur in der Langzeitperspektive relevant; für eine gewisse Übergangszeit sei eine Ökosteuerbefreiung für Erneuerbare durchaus gerechtfertigt, um deren Nachteile im Wettbewerb gegen Kohle und Atom etwas zu mildern. Die Frage, ob dieses Ziel mit einer derartigen Steuerbefreiung überhaupt erreicht werden kann, wollen wir kurz zurückstellen; unabhängig davon lassen sich nämlich auch gegen eine vorläufige Freistellung mehrere Bedenken erheben:

1. Es verstellt den Blick für die Möglichkeit und Notwendigkeit der vollständigen Umstellung auf Erneuerbare, wenn wir ausgerechnet die Erneuerbaren, die in einigen Jahrzehnten die Hauptstütze unserer Energieversorgung und damit auch unseres Steuersystems sein sollen, jetzt quasi "wegen Geringfügigkeit" erst einmal freistellen; das würde es noch schwieriger machen, die im öffentlichen Bewusstsein vorherrschende Vorstellung einer lediglich "additiven" Energie zu überwinden.

2. Das System der Förderung der Erneuerbaren wird dadurch intransparenter: Aufgabe der ökologischen Steuerreform ist die Nivellierung der Schieflage zwischen Energie und Arbeit sowie die Internalisierung der externen Kosten. Für die heute notwendige rasche Markteinführung der Erneuerbaren hingegen ist sie angesichts ihrer langfristigen, sich erst allmählich im Laufe von Jahre aufbauenden Wirkung weniger geeignet; dafür steht mit dem Konzept der kostendeckenden Vergütung ein eigenes, höchst wirkungsvolles Instrument zur Verfügung. Hier sollte man möglichst klar trennen, damit erkennbar bleibt, welches Element des Steuersystems welche Funktion hat. (Dies ist keineswegs nur ein akademisches Problem, eine Frage der "Ästhetik" des Steuersystems gewissermaßen: Vielmehr hat die mangelnde Akzeptanz unseres Steuersystems und das verbreitete Misstrauen gegenüber jedweder Änderung des Status Quo sicherlich auch und gerade damit zu tun, dass Sinn und Berechtigung der einzelnen steuerlichen Regelungen für die meisten Menschen weitgehend im Unklaren bleiben und oft willkürlich wirken.)

3. Und schließlich ist es erfahrungsgemäß mit gewaltigen politischen Schwierigkeiten verbunden, eine - auch nur vorübergehende - steuerliche Begünstigung jemals wieder abzuschaffen. Man denke nur an die Subventionen in der Landwirtschaft oder im Steinkohlebergbau.

Dennoch müssten wir diese eher abstrakten Einwände natürlich hintanstellen, falls sich eine Steuerbefreiung als notwendig oder auch nur zweckdienlich für das zweifellos vorrangige Ziel der Markteinführung der Erneuerbaren erweisen sollte. Es gibt durchaus Situationen, in denen dies der Fall ist (zumindest solange keine besseren Förderinstrumente zur Verfügung stehen): So ist die bereits umgesetzte komplette Mineralölsteuerbefreiung von Biotreibstoffen eine ausgesprochen sinnvolle und wichtige Maßnahme. Es sei daher zur Vermeidung von Missverständnissen ausdrücklich betont, dass sich die folgenden kritischen Anmerkungen allein auf den Bereich der Stromerzeugung beschränken. Dort freilich ist eine Steuerfreistellung für Erneuerbare gegenüber dem Konzept kostendeckender Vergütungen nicht nur klar unterlegen, sie erweist sich sogar als mit letzterem geradezu unvereinbar:

Eine Stromsteuerbefreiung brächte für den Anlagenbetreiber keinen direkten Vorteil, da ja nicht er (sondern letztlich der Verbraucher) es ist, der die Stromsteuer zu bezahlen hat; es würde lediglich möglich, Regenerativstrom ein wenig billiger zu verkaufen. Gefördert würde also allenfalls der Verbrauch von Regenerativstrom und nicht etwa die Erzeugung. Damit lassen sich praktisch alle Einwände und Bedenken, die der SFV wiederholt gegen den Ökostromhandel und gegen eine Förderung des Verbrauchs anstelle der Erzeugung vorgebracht hat, unmittelbar übertragen. Welch' vielfältige Missbrauchsmöglichkeiten (Stromwäsche etc.) ausgeschlossen werden müssten, ist ausführlich in einem Artikel von Ralf Bischof in Solarbrief 2/2000, S. 14f, dargestellt.

Noch gravierender ist, dass in dem im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verwirklichten System garantierter Mindestvergütungen ein Steuervorteil für Regenerativstrom zumindest in den nächsten Jahren in aller Regel gar nicht den Erneuerbaren zugute kommen, für die Betreiber keinerlei zusätzliche, über das EEG hinausgehende Förderung mit sich bringen würde: Stünde Regenerativstrom im direkten, schutzlosen Wettbewerb mit Kohle- und Atomstrom, dann könnte der Betreiber in der Tat Mehrerlöse in Höhe der Steuervergünstigung erzielen. Er wäre aber dennoch schlechter gestellt als im heutigen EEG-System: In diesem liegen die gesetzlichen (Mindest-)Vergütungen mit gutem Grund derzeit noch deutlich über den Marktpreisen. Erst in dem Augenblick aber, in dem die Differenz zwischen den Vergütungen des EEG und den Erzeugungskosten konventioneller Kraftwerke geringer wird als der Steuervorteil, kann der Anlagenbetreiber eine höhere Vergütung am Markt durchsetzen; erst ab hier kommt die Steuerbefreiung wirklich den Erneuerbaren zugute.

Davon kann heute offensichtlich noch keine Rede sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (und wohl noch auf Jahre hinaus) würde - da die EEG-Mehrkosten ja im Zuge des bundesweiten Ausgleichs auf alle Stromkunden umgelegt werden - mit einer Steuerbefreiung für Erneuerbare lediglich eine allgemeine Strompreissenkung subventioniert.

Wesentlich hierbei ist, dass sich entgegen weitverbreiteter Auffassung die Wirkungen von EEG und Steuervorteil nicht addieren! Das gilt übrigens auch für jene "ehrlichen" Ökostromhändler, die die freiwilligen Mehrzahlungen für eine über den EEG-Standard hinausgehende Förderung verwenden und sich soweit wie möglich über den bundesweiten Ausgleich refinanzieren: Auch sie haben von der Steuerfreistellung zunächst keinen Wettbewerbsvorteil; bessergestellt würde ausgerechnet jener Ökostromhandel, bei dem die EEG-Mehrkosten aus dem allgemeinen Strompreis herausgenommen und einseitig auf die Ökostromkunden umgelegt werden.

Die Steuerbefreiung entfaltet ihre Wirksamkeit also im Gegensatz zur kostendeckenden Vergütung erst relativ spät (inbesondere bei der Photovoltaik!), erst "kurz vor" Erreichen der Wirtschaftlichkeit - und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem man aufgrund der obigen längerfristigen Überlegungen allmählich schon wieder über eine Abschaffung der Befreiung nachdenken müsste! Der hauptsächliche Effekt wäre somit ein weitgehend kosmetischer: Man könnte vielleicht ein paar Jahre früher auf die Festschreibung von Mindestvergütungssätzen verzichten. Möglicherweise geht es den Verfechtern einer Steuerbefreiung ja - bewusst oder unbewusst - gerade darum: das von den politischen Gegnern als interventionistisch angefeindete Konzept kostendeckender Vergütungen möglichst schnell durch vermeintlich marktkonformere (oder leichter "vermittelbare"?) Instrumente ersetzen zu können. Dies kann sich jedoch leicht als kontraproduktiv erweisen: Den Siegeszug der Erneuerbaren beschleunigt es in keiner Weise, eher im Gegenteil: Nach einer Stromsteuerbefreiung würde es wohl noch schwerer werden, echte kostendeckende Vergütungen (insbesondere für die Photovoltaik) durchzusetzen, zumal gegen den Irrtum, dass sich die Wirkungen von EEG und Steuerbefreiung addierten und daher nunmehr niedrigere Vergütungssätze ausreichten, zweifellos nur sehr schwer anzukommen wäre.

Übrigens fließen die aus der Besteuerung von Regenerativstrom erzielten Einnahmen bereits heute wieder in die Förderung der Erneuerbaren zurück: Aus ihnen wird das Marktanreizprogramm finanziert. Dies halten wir für die wesentlich sinnvollere Förderstrategie, die nicht zugunsten einer zwar gut gemeinten, aber sachlich unbegründeten Steuerbefreiung geopfert werden sollte.


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