08.11.2022

Gerhard Hübener

Energiegeld statt Energiepreisdeckel

Was tun gegen die hohen Strom- und Gaspreise? Ein Energiegeld pro Kopf wäre eine Möglichkeit – eine mit mehreren Vorteilen.

Die zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung zur Gas- und Strompreisbremse geht in die falsche Richtung. Die Mehrkosten treffen Geringverdiener weitaus stärker als Besserverdienende, die Lenkungswirkung hoher Energiepreise wird deutlich geschwächt. Das makroökonomische Institut IMK der Böckler-Stiftung hatte für den Gaspreis ein Alternativmodell durchgerechnet, bei dem das Kontingent in Abhängigkeit von der Anzahl der Personen pro Haushalt festgelegt werden sollte. Die Kosten dafür wären nur halb so hoch wie bei dem von der Gaspreiskommission empfohlenen Modell, dem sich nun Bund und Länder angeschlossen haben.

Allerdings fehlten für das Modell des IMK die Daten darüber, wie viele Personen in einem Haushalt mit Gasversorgung leben. Und natürlich gibt es auch Geringverdiener mit wenig Personen je Haushalt in schlecht gedämmten Wohnungen, die beim Pro-Kopf-Kontingent schlechter abschneiden könnten.

Was für den Gaspreis allein schwierig erscheint, wird einfacher, wenn alle Energiearten betroffen sind. Die Bund-Länder-Einigung geht ja auch weit über den Gaspreis hinaus. Preise für Fernwärme sollen ebenso gedeckelt werden wie die Strompreise, Finanzhilfen für Öl und Holzpellets wurden zumindest angedeutet.

Anstelle eines Preisdeckels wäre eine Reduzierung der durchschnittlichen Nettokosten weitaus zielführender. In der Schweiz wird seit 2008 eine CO2-Abgabe auf alle fossilen Brennstoffe erhoben. Zwei Drittel der Einnahmen werden je Kopf der Bevölkerung zurückgezahlt, pro Monat über die gesetzliche Krankenkasse. Das Modell hat es ermöglicht, dass die Schweizer inzwischen bei einer Abgabenhöhe von 120 Euro je Tonne CO2 angekommen sind.

In Abwandlung des Schweizer Modells könnten die für Haushalte geplanten Subventionen zu 100 Prozent als Energiegeld je Kopf der Bevölkerung gezahlt werden. Anders als beim Pro-Kopf-Kontingent des IMK müssten keine zusätzlichen Daten erfasst werden. Der jeweilige Preis würde bestehen bleiben und damit die volle Lenkungswirkung.

Energieverbrauch korreliert mit steigendem Wohlstand

Die Vorteile wären ähnlich wie beim Alternativmodell des IMK: sozial gerechter, stärkere Lenkungswirkung, kostengünstiger. Das Energiegeld, als Ausgleich zu den gestiegenen Heizkosten, würde als monatlicher Betrag gezahlt werden – vom Finanzamt, von der Arbeitsagentur, von wem auch immer.

Der hohe Gaspreis im kommenden Winter (geschätzt doppelt so hoch wie der auf 12 Cent pro kWh subventionierte Preis) würde dagegen seine volle Lenkungswirkung beibehalten. Wer im letzten Jahr deutlich mehr als der Durchschnitt verbraucht hat, bekäme auch nur das durchschnittliche Energiegeld.

Gegen eine solche Regelung kommt vermutlich sofort das Beispiel vom armen Rentner in der schlecht gedämmten Altbauwohnung. Der Einwand ist prinzipiell berechtigt. Nur sollte man nicht immer den sogenannten kleinen Mann vorschieben, wenn vor allem Gut- und Besserverdienende Nutznießer der angeblich „bewährten Gießkannen-Subventionierungen sind.

Die Süddeutsche Zeitung hat gerade über eine Studie zum Verhältnis von Einkommen und Energieverbrauch berichtet. Der Energieverbrauch steigt proportional mit wachsendem Einkommen. 60 Prozent der Haushalte liegen unter dem Durchschnittsverbrauch. Nur bei den reichsten 10 Prozent schießt die Kurve für den Energieverbrauch steil nach oben. Diese 10 Prozent verbrauchen genauso viel wie die ärmsten 40 Prozent der deutschen Haushalte zusammen.

Damit sollte klar sein, wo das größte Einsparpotenzial liegt und wem eine Abschwächung des Preishebels vor allem zugutekommen würde. Geringverdiener in schlecht gedämmten Wohnungen könnten zielgerichtet und kostengünstiger über Instrumente wie Wohngeld oder Heizkostenzuschüsse unterstützt werden.

Fehlanreize bei Strom und Wirtschaft

Dass die Preisbremse nun auch auf den Strompreis erweitert werden soll, treibt die Fehlanreize auf die Spitze. Viele Haushalte, vermutlich nicht die ärmsten, haben sich für diesen Winter mit Elektroheizkörpern eingedeckt. Die Stadtwerke warnen schon vor möglichen Stromausfällen. Statt eines Strompreisdeckels sollten eher Maßnahmen gegen das Ausweichen auf Stromheizungen vorbereitet werden. Am einfachsten über die Erhöhung der Stromsteuer. Die Mehreinnahmen könnten einfach über das Energiegeld zurückgezahlt werden.

Auch für Industrie und Dienstleistungsbranchen wäre es wichtig, von der Gießkanne wegzukommen. Die Subventionen sollten auch hier nicht beim Gas- oder Strompreis ansetzen, sondern als Direktzahlungen an die Unternehmen fließen, um die Lenkungswirkung der Preise voll wirksam werden zu lassen.

Beim CO2-Steuer-Modell der Schweiz werden zwei Drittel der CO2-Steuer-Einnahmen an die Arbeitgeber zurückverteilt. Ähnlich könnten die jetzt geplante Subventionen an die Unternehmen verteilt werden.

Wir würden quasi nebenbei ein Instrument einführen, welches wir nicht nur zur Lösung der aktuellen Energiekrise brauchen, sondern auch zur Bewältigung der drohenden Klimakatastrophe. Ein solches Modell sollte eigentlich für alle Ampelparteien attraktiv sein. Für die Grünen wäre es der Einstieg in eine aktive Klimapolitik, die FDP könnte auf die Stärkung der Marktkräfte und die Reduzierung der Schuldenlast verweisen, für die SPD wäre es eine starke Entscheidung gegen die sich zuspitzende soziale Krise.

Die vielen aktuellen Krisen getrennt voneinander zu lösen, wird schon aus finanziellen Gründen nicht funktionieren. Nicht im reichen Deutschland, erst recht nicht in den ärmeren Ländern Süd- und Osteuropas. Nirgendwo.

Dieser Artikel ist zuerst auf taz.de veröffentlicht worden.


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