Gerhard Hübener

Die Diktatur der Ökonomie und die Notwendigkeit einer Alternative

McKinsey und der allgegenwärtige Zwang zur Effizienz

Ein Kommentar zum Buch des SPIEGEL-Autors Dirk Kurbjuweit: "Unser effizientes Leben - Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen"

„Es ist unglaublich, was da abgeht. Wir erleben gerade die Deindustrialisierung Deutschlands.“ Christian Rödl, Mitgeschäftsführer einer Beratungsgesellschaft für mittelständische Unternehmen im STERN 16/2004

Eine Krankheit greift um sich wie eine Seuche – die Arbeitslosigkeit. Siemens, VW, Mercedes, die Telekom, Bundesbahn, Post, Banken, Einzelhandel, kulturelle, soziale und kirchliche Einrichtungen, der öffentliche Dienst ... Überall sind Kosten zu reduzieren, um wirtschaftlich überleben zu können. Und immer sind es Personalkosten, um die es geht. Das ganze hört sich nach Notoperation an: Arbeitsplätze wegrationalisieren, um das Unternehmen am Leben oder in Deutschland zu halten. Klingt wie: den Arm amputieren, um den Patienten zu retten. Es muss aber befürchtet werden, dass auch diese „Notoperationen“ nicht wirklich helfen. Lothar Späth, Vorstandsvorsitzender der Jenaoptik AG: „Die Hälfte der Arbeitsplätze (im Osten) ist wettbewerbsfähig... Die anderen 50 Prozent ... werden wir im Rahmen der EU-Erweiterung bald an unsere osteuropäischen Nachbarn verlieren.“[1]

Kaum ein kulturelles Ereignis fand in der letzten Saison so sehr Beachtung wie Rolf Hochhuths neues Stück „McKinsey kommt“. Zum selben Thema erschien im vergangenen Jahr ein Buch des SPIEGEL-Autors Dirk Kurbjuweit: „Unser effizientes Leben – Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen“. [2]

Kurbjuweit beschreibt in dem Buch anschaulich die Rolle der McKinsey-Unternehmensberatung, die sich fast missionarisch der Durchsetzung eines umfassenden Wirtschaftlichkeitsdenkens widmen. Ein Denken, welches zunehmend alle Lebensbereiche durchdringt: Politik und Wirtschaft, Kultur und Kirchen, Medizin und Gentechnik. „Ich glaube, das Wort, das ich bei meinen Recherchen am häufigsten höre, egal zu welchem Thema, heißt Effizienz. ... Es wird nie angefochten, nie infrage gestellt. Ist es ausgesprochen liegt es wie ein Fels im Raum, tonnenschwer und unverrückbar.“ Wer diese unumstößliche Wahrheit ignoriert, wie das katholische Bistum Berlin, kann noch froh sein, wenn ihn McKinsey vor Schlimmerem rettet. Jetzt muss auch hier ein Drittel der kirchlichen Mitarbeiter entlassen werden, die Zahl der Gemeinden halbiert, der Großteil des Besitzes verkauft und die übrigen deutschen Bistümer um hohe finanzielle Hilfen gebeten werden [3].

Immer mehr infiziert das Denken in wirtschaftlichen Begriffen und Kategorien unseren Alltag. Kulturangebote werden nach Einschaltquoten und Aufmerksamkeits-Potential beurteilt, Kirchenvertreter sprechen von „Kundenorientierung“ und „Dienstleistungen auf dem Markt für Sinn-Angebote“, Bildung und Erziehung sollen sich vorwiegend nach dem Bedarf der Wirtschaft orientieren.

Es scheint, „als würden wir alle schon von McKinsey-Schatten begleitet, so wie die Mitarbeiter der Betriebe, die von der „Firma“ beraten werden. Jene Schatten, die uns ständig zur Effizienz gemahnen, zum total ökonomischen Verhalten in jeder Minute.“ Das erinnert an Michael Endes Roman „Momo“ - die Herrschaft der „Grauen Herren“. Auch dort ging es um „Zeit-Effizienz“ in jedem Lebensbereich.

Und trotzdem ist der Widerstand insgesamt gering. Zu überzeugend ist das Argument der Effizienz. Und zu stark ist die Erinnerung an das ineffiziente und dabei totalitäre Regime des Sozialismus. Der Sieger hat immer recht - und niemand will ernsthaft eine staatlich verordnete Wirtschaft zurück. Der Autor sieht jedenfalls keine Alternative. Er will nur warnen und letzte Freiräume bewahren. Auch Ex-Bundespräsident Johannes Rau mahnte in seiner letzten Weihnachtsansprache vor der Übermacht ökonomischen Denkens in allen Lebensbereichen. „Wir müssen aufpassen, dass nicht unser gesamtes gesellschaftliches Leben immer mehr nach den Mustern von Wirtschaftlichkeit und Effizienz geprägt wird.“ Aber auch er hat keine Lösung, will auch nur letzte Rückzugsräume vor der ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung schützen.

Aber ist das überhaupt möglich angesichts des Sogs, dem alle gesellschaftlichen Bereiche unterliegen? Wo selbst diese Freiräume zunehmend wirtschaftlichen Zwängen unterliegen? Es geht ja um so genannte Subventionen, die in Zeiten der Krise überall auf den Prüfstand gestellt werden. Gerade der Umweltschutz zeigt die Widersprüchlichkeit solcher Art von Subventionierung sichtbar. Voraussetzung dafür wäre ein hohes Wirtschaftswachstum. Die Grundlage für die Erhaltung solcher „ökonomie-freien“ Nischen wäre also noch mehr wirtschaftlicher Druck in allen übrigen Bereichen. Die Ausnahme bestätigt also nur die Regel vom absoluten Primat des ökonomischen Denkens.

Angesichts dieser von Kurbjuweit beschriebenen „Diktatur der Ökonomie“ ist allerdings zu fragen, ob denn der Kurs der Wirtschaft überhaupt identisch ist mit den angestrebten gesellschaftlichen Zielen.

Offensichtlich nicht. In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, dass die gegenwärtige Nichtanlastung der ökologischen und sozialen Folgeschäden nach dem Verursacherprinzip eine schwerwiegende Fehlsteuerung der Wirtschaft zur Folge hat. Und bezüglich der Auswirkungen des gegenwärtigen Steuersystems auf den Arbeitsmarkt schrieb das Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) Heidelberg schon 1988:

„Wäre es Absicht der Steuer- und Abgabenpolitik der letzten Jahrzehnte gewesen, menschliche Arbeitskraft so zu verteuern, dass sie in der Konkurrenz zu Maschinen und Energie zunehmend aus dem Arbeitsmarkt verdrängt wird, hätte die Politik nicht wesentlich anders sein können.“ [4]

Und wie ist es mit dem Leitbild für die Marktwirtschaft, der Orientierung auf das Wachstum des Bruttosozialproduktes? Bisher war davon ausgegangen worden, dass die Orientierung an dieser Zielgröße (bzw. BIP – Bruttoinlandsprodukt) wenigstens für den Arbeitsmarkt stimmt. Inzwischen wird dies durch die stetig steigende Produktivität infrage gestellt. Die Zahlen für das Produktivitätswachstum in den USA gehen stetig nach oben: von 1,6 % in den 80er Jahren bis auf 4,6 % in den Jahren 2002 bis 2003. Tendenz steigend. Alan Greenspan, Chef der US-Notenbank:

„Bevor wir nicht eine langsamere Zunahme der Produktivität haben, wird es schwer möglich sein, dass das Wirtschaftswachstum zu mehr Beschäftigung führt.“ [5]

Dieser Satz macht das ganze Dilemma der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik deutlich. Eine Folge der Effizienzrevolution von McKinsey und Co. „Produktivitätsfalle“ wird dies verharmlosend genannt. Hört sich an wie: Nur weil wir so gut sind, klappt das nicht immer so richtig. Treffender wäre die einfache Feststellung: Wenn die Richtung falsch ist, kann das Ergebnis auch nur falsch sein.

Abb. 1: Weil die Produktivität schneller wächst als das BIP, reduziert sich der Bedarf an Arbeit. Seit 1970 um 0,6 Prozent pro Jahr. Die Grafik zeigt die Entwicklung bis 2050, ohne die zu erwartende Steigerung der Produktivitätsüberschüsse.

Die Debatte um die Ökosteuerreform in den 90er Jahren hat das Bild vom fehlgesteuerten Tanker geprägt, der mit Hilfe der Ökologisch-Sozialen Steuerreform endlich auf richtigen Kurs gebrachte werden soll. Im Kern so einfach wie effizient: runter mit allen Steuern und Abgaben auf Arbeit, im Gegenzug Einführung bzw. schrittweise Erhöhung von Steuern oder Abgaben auf Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch. Im Ergebnis würde all das, was aus sozialen und ökologischen Gründen eigentlich notwendig und wünschenswert ist, endlich auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sein. Das Streben nach „Effizienz“ ist ja nicht an sich falsch – er wird nur in einem längst überholten Zusammenhang angewendet. Es ist doch absurd, Arbeitskräfte einzusparen, die überall im Überfluss vorhanden sind. Diese „Einsparung“ können wir uns wegen der gesellschaftlichen Folgekosten gar nicht mehr leisten. Es geht sogar um eine „Effizienz-Revolution“ – allerdings bei der Nutzung von Energie und allen natürlichen Ressourcen. Hier sind die zukünftigen Knappheiten schon jetzt sichtbar.

Aber dieser an sich logische Wechsel ist in Wirklichkeit ein Paradigmenwechsel. Es setzt den Austausch von Denkmustern voraus, als Voraussetzung für die Veränderung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Und wie vor dem Ende des Sozialismus ist der Widerstand gegen grundsätzliche Richtungsänderungen groß. Das Heil wird in der Flucht nach vorn gesucht: Ballast abwerfen, damit der Tanker Marktwirtschaft wieder Fahrt bekommt.

Was tun? Festzustellen ist, dass die Tatsache der Fehlsteuerung der Wirtschaft völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt worden ist. Und dass es leider nie ein überzeugendes Leitbild für diese sinnvollste aller Reformen gegeben hat. Die Akteure hatten vergessen, wie viel Überzeugungsarbeit notwendig war, ehe die Reform in den eigenen Reihen mehrheitsfähig war. Es sollte deshalb nicht verwundern, dass die Ökosoziale Steuerreform im Moment kaum populär ist. Die Frage ist nur, wie lange wir die Tatsache der Fehlsteuerung der Marktwirtschaft noch ignorieren können. Das ist wie mit dem Bild vom schwerkranken Patienten. Wir können nicht hoffen, dass die Heilung schon irgendwie gelingen wird, wenn irgendein Symptom behandelt wird statt der eigentlichen Krankheitsursache...

(Vorwort zur Textsammlung „Den Tanker umsteuern!“ vom August 2004)

Quellen:

[1] Interview in „TV Hören und Sehen“, Heft 22/2004

[2] Dirk Kurbjuweit: „Unser effizientes Leben“ Rowohlt-Verlag 2003

[3] Tagespiegel 31.12.03: Arm wie eine Kirchenmaus

[4] UPI-Bericht Nr. 9: „Vorschläge für eine Ökologische Steuerreform“, 3.ergä. Auflage 1995

[5] SPIEGEL-Online 18.3.04/ Wirtschaft: „US-Produktion – Land im Temporausch“


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