Gerhard Hübener

Es droht eine ganz andere "Revolution"

Eine Antwort an Ernst Ullrich von Weizsäcker

20:80, Tittytainment und Darwin AG als mögliche Perspektiven

Der nachfolgende Beitrag entstand als Reaktion auf einen Brief von MdB Ernst Ullrich von Weizsäcker zum Diskussionspapier "Eine Zweite Wende":

„…Ich muss zugeben, dass ich vielen Ihrer Ansätze auf Anhieb zustimmen könnte. Politik bewegt sich allerdings – leider! – nur sehr langsam, so dass eine Umsetzung Ihrer Vorschläge in dieser geballten Form einer Revolution gleichkäme… Weder im Parlament noch in der Bundesregierung hat sich bisher durchgesetzt, dass eine Verknüpfung „normaler“ Gesetze und Reformen mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten nicht nur sinnvoll, sondern auch im ökonomischen Sinne notwendig ist…“ (Antwortbrief von MdB E. U. v. Weizsäcker vom 05.06.03)

Anschließend verteidigt er die Agenda 2010: Teilbereiche würden genau in die von mir angedachte Richtung wirken.

Natürlich: „Politik ist die Kunst des Möglichen, des Bohrens dicker Bretter...“: Was nicht in den Horizont der aktuellen Politik passt, bekommt schnell den Aufkleber „utopisch“, also unrealistisch.

Muss ich den verdienten und geschätzten Vordenker der Ökosozialen Steuerreform darauf hinweisen, dass die von ihm geforderte „Faktor 4-Revolution“ [Quelle] (auch eine Revolution), so einfach und logisch sie klingt, nur durchsetzbar ist, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern? Wenn nicht nur ökologische Gründe und die technische Umsetzbarkeit dafür sprechen, sondern vor allem wirtschaftliche Gründe? Dass es sich „rechnen muss“ für die Unternehmen, in derart radikale Ressourceneinsparung zu investieren statt in Personalreduzierung? Dass, als Voraussetzung für solch eine Entwicklung, zuerst eine Richtungsänderung der jetzt völlig fehlgesteuerten Wirtschaft vorgedacht werden muss? Dass es weniger um eine schnelle Umsetzung geht, wohl aber um die sehr notwendige und möglichst rasche Neuorientierung? Dass wir dafür endlich über ein verständliches Leitbild für die Umsteuerung des fehlgesteuerten Tankers reden müssen – um dieses dann endlich politikfähig machen zu können?

Ich habe es versucht – ohne eine Antwort zu bekommen...

Dabei droht eine ganz andere „Revolution“ (auch wenn der Begriff nicht ganz stimmt. Weil sie die konsequente Fortsetzung der bisherigen Entwicklung ist, nur auf qualitativ neuer Stufe):

Aber auch in Deutschland steuern wir stramm in diese Richtung. Deutschlands Informatiker sind seit Jahren Spitze bei den Weltmeisterschaften der Roboter-Fußballer. Ihre Visionen wirken gespenstisch, sind aber ernst gemeint: „Ziel sei es, dass im Jahr 2050 ein Fußball spielendes Roboterteam den menschlichen Weltmeister entthront.“ Das ist nicht nur Spieltrieb: „In den Fertigungsstraßen spielen die immer komplexeren und klügeren Maschinen eine immer größere Rolle“ ("Beim Roboter-Fußball ist Freiburg Spitze", Meldung im Tagesspiegel 09.04.05).

Abb. 1: iCub - ein humanoider Roboter des RobotCub-Projekts. Bald geht der wundersam verspielte Humanoide in Bau; im Jahr 2007 soll er fertig sein. Für die Gemeinde der Roboterforscher wird es ein denkwürdiges Datum sein: die Geburt des ersten kompletten Kunstkindes. Elf europäische Forschungszentren haben sich dafür zusammengetan, dazu zwei in den USA und drei in Japan. Das Geschöpf, das sie in die Welt setzen wollen, soll heranwachsen wie ein kleiner Mensch. (Spiegel 52/2005)

Das evangelische „Chrismon“-Magazin brachte kürzlich eine Meldung, wonach der erste Roboter für die Hauspflege alter Menschen in fünf Jahren auf dem Markt sein soll. Im Kulturradio erzählte ein Professor stolz über seine Kinder-Uni, wo ein Schüler eine künstliche Hand hergestellt hatte. Ich vermisste die Frage der Moderatorin nach dem Sinn einer solchen Thematik angesichts Millionen von zwangsweise untätigen Händen. Und: wir liefern die hochmodernsten Maschinen nach China. Es scheint manchmal, als wenn die ökonomische die militärische Auseinandersetzung abgelöst hat. (Bei den gegenwärtigen Rahmenbedingungen sind die sozialen und ökologischen Folgeschäden oft ähnlich verheerend). Dann liefern wir aber gerade die hochmodernsten „Waffen“ an China. Uns bleibt dann, so sagt man uns, nichts weiter übrig, als das Tempo zu erhöhen, um in diesem globalen Wettbewerb irgendwie noch mithalten zu können. Angesichts der Abwanderung ganzer Industriezweige nach Osten bleibt nur noch die „Flucht nach vorn“ in eben solche Zukunftstechnologien. Eine Titelzeile für ein Interview des „Tagesspiegel“ mit einem führenden US-Ökonomen lautete denn auch: „Ohne Biotech wird Europa so arm wie Afrika“ (Tagesspiegel 05.02.04).

Mal abgesehen von der Tatsache, dass diese „Zukunftstechnologien“ mit Sicherheit nicht das ersetzen können, was an Arbeitsplätzen in der alten Industrie wegbricht (sie beschäftigen sich ja zum Großteil mit der Abschaffung der teuren menschlichen Arbeitskraft) und dem bald nicht mehr vorhandenen Wissens-Vorsprung vor Ländern aus Osteuropa und Südostasien, den strukturellen Kostennachteilen in Deutschland (Sozialstaat, Beamtenversorgung...) haben wir einfach ein grundsätzliches Defizit. Wir sind von unserer christlich geprägten Kultur und der deutschen Geschichte her mit moralischen Bedenken „belastet“, die Länder mit einem anderen Hintergrund, z.B. China oder Saudi-Arabien, überhaupt nicht kennen. Wir wären also denkbar schlecht gerüstet für diese Art globalen Wettbewerbs.

Also weg mit all den Bedenkenträgern, Ethikkommissionen, weg mit der sprichwörtlichen Zukunftsangst der Deutschen? Es wäre Zeit, dass wir uns endlich nach vorn orientieren würden? Auf der Rückseite des oben zitierten Buches zur FAZ-Debatte steht denn auch der positivistische Ausblick: „Im 21. Jahrhundert wird der Mensch versuchen, zum ersten Mal in der Geschichte die Evolution fundamental zu steuern. Das ist gewiss auch Grund zur Sorge. Aber manchmal will einem scheinen, wir hätten unseren Teil an Sorge, Skepsis, Furcht und Nüchternheit längst entrichtet. Uns steht ein neues Zeitalter der Entdeckungen bevor...“

Oder sollten wir besser aufwachen und die gegenwärtige Entwicklung mit anderen Augen betrachten? Sollten wir unsere Bedenken nicht besser als Hinweis auf den notwendigen „Kurswechsel“ verstehen? So wie ja auch viele Krankheiten sinnvoll sind, wenn sie als Warnsignale verstanden werden? Ist denn solch eine Zukunft tatsächlich “menschen-gemäß”? Die große Mehrheit wird diese Vorstellung ablehnen. Trotzdem laufen wir alle mit. Als wenn es keine Alternative gäbe.

Aber wer sagt denn, dass wir zwangsläufig in diese Richtung marschieren müssen? Weil es „Fortschritt“ ist? Oder weil wir uns nicht vorstellen können, dass die Zukunft auch anders aussehen könnte als die Fortsetzung der gegenwärtigen Entwicklung?

Halten wir fest: diese Horrorvisionen wäre das Ergebnis, wenn wir auf diesem Weg weiter marschieren. Wenn wir der „Diktatur der Ökonomie“ konsequent folgen. Der Tanker Marktwirtschaft steuert tatsächlich in diese absurde Neue Welt hinein.

Zurück zum eingangs zitierten Vorwurf der „Revolution“. Es geht tatsächlich um eine grundsätzliche „Richtungsänderung“. Deswegen ist der Widerstand ja auch größer als gegen die von Clinton propagierte „Dritte Industrielle Revolution“. Nur ist der Begriff falsch, was die Form des Wandels betrifft. Sie könnte wesentlich reibungsloser ablaufen als der wirtschaftliche Umbau in Ostdeutschland. Weil nicht der schnelle und radikale Wandel entscheidend ist, sondern die notwendige Um-Orientierung. Durch ein neues Leitbild für die Wirtschaft. Wenn dieses nur endlich klar wäre, so dass die Rahmenbedingungen für zukünftige Investitionen und finanzielle Hilfen in die richtige Richtung geändert würden, könnten alle anderen Schritte ohne übergroßes Tempo erfolgen. Es geht ja bei dieser Reform gerade um die Beseitigung von negativen Fehlentwicklungen, am sichtbarsten beim Arbeitsmarkt. Warum sollten wir dort nicht so bald wie möglich umsteuern? Natürlich gibt es auch hier Besitzstandsverteidiger und Menschen, die sich so an ihr „Leiden“ gewöhnt haben, dass sie sich gegen jede Änderung sträuben. Mit Unterstützung der „Besitzstandswahrer“ natürlich. Da hilft nur Aufklärung und Klarheit der Reformkräfte. Nur so ist solch eine Umsteuerung politisch durchsetzbar.


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