Jürgen Grahl und Gerhard Hübener

Zwölf Thesen

Die folgenden Thesen fassen die zentralen Ideen dieser Webseite zusammen: von gegenwärtigen Fehlsteuerungen unserer Marktwirtschaft und realitätsfernen Dogmen der Standard-Ökonomie über neue produktionstheoretische Studien bis zu den Chancen einer Energiesteuerreform und Forderungen für deren Ausgestaltung.

Ökonometrische Untersuchungen von Naturwissenschaftlern und Ökonomen an verschiedenen Universitäten und Hochschulen widersprechen den Grundannahmen der vorherrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Modelle. Die Ergebnisse sind so gravierend, dass sie einen Paradigmenwechsel bei den Wirtschaftswissenschaften erforderlich machen.

1. In den 90er Jahren wurde das Bild vom fehlgesteuerten Tanker Marktwirtschaft geprägt, welcher mittels einer Ökologisch-Sozialen Steuerreform auf sinnvollen Kurs gebracht werden sollte. Mit Hilfe von Ökosteuern sollten Energie- und Umweltverbrauch verteuert, der Faktor Arbeit im Gegenzug von hohen Steuern und Abgaben entlastet werden. Politisch durchgesetzt hat sich jedoch die Agenda 2010: Ballast abwerfen, damit der Tanker noch mehr Fahrt bekommt.

2. Die bisherigen Maßnahmen zur Lösung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise ändern nichts an der bestehenden Fehlsteuerung der Marktwirtschaft. Die Maßnahmen mögen zwar geeignet sein, den Tanker wieder in Bewegung zu bringen, der Kurs bleibt jedoch der gleiche [Fußnote]Daran ändert auch die Ablösung der gescheiterten neoliberalen Wirtschaftspolitik nichts. Auch die Neo-keynesianische Wirtschaftstheorie setzt auf die Notwendigkeit von (exponentiellem) Wirtschaftswachstum, allen drohenden Klima-, Energie- und Rohstoffkrisen zum Trotz.. Dabei wäre der o.g. Ansatz das sinnvollste Instrument zur Neuorientierung der Wirtschaft: Effizienzdenken hieße dann, Energie statt Arbeitsplätze zu sparen. Die ÖSR gilt jedoch als politisch gescheitert. Wenn eine stärkere Besteuerung von Energie gefordert wird, dann nur noch in Verbindung mit der ökologischen Seite der Reform. Damit gerät aber nicht nur die soziale Seite der Reform in Vergessenheit; gleichzeitig wird die Lenkungswirkung (deren mögliche Radikalität in dem Grundsatz der Aufkommensneutralität: "nicht mehr, sondern andere Steuern" begründet war [Fußnote]Das ist einer der wesentlichen Vorteile gegenüber dem Handel mit Emissionslizenzen. Diese bedeuten letztlich zusätzliche Kosten, die (nicht nur) in Krisenzeiten schwer durchsetzbar sind (siehe Scheinlösungen). Die Einführung von Energiesteuern zur Finanzierung der Sozialsysteme wäre im Moment eher einfacher als vor der Krise: die Energiepreise sind deutlich gesunken (mit negativer Lenkungswirkung aus Sicht der Klima- und Energiepolitik), die Erhöhung anderer Steuern ist noch unpopulärer, die Neuverschuldung könnte verringert werden, eine Absenkung der Lohnnebenkosten (zunächst für Krisenbranchen?) könnte eine zukunftsorientierte Umorientierung der gesamten Wirtschaft einleiten.) entscheidend geschwächt. Ein Neuanfang erfordert eine tiefergehende Begründung der Reform.

3. Quantitative Untersuchungen zu Produktion und Wirtschaftswachstum in Deutschland, Japan und den USA weisen nun nach, dass der billige Produktionsfaktor Energie weitaus produktionsmächtiger ist als der teure Faktor Arbeit:

"Energie ist billig und produktionsmächtig. Arbeit ist teuer und produktionsschwach [Fußnote]"Die Produktionsmächtigkeit der Energie ist in den industriellen Wirtschaftssektoren etwa so groß wie die Produktionsmächtigkeiten von Kapital und Arbeit zusammen und um einen Faktor 10 größer als der Kostenanteil der Energie an den Gesamtfaktorkosten... Umgekehrt verhält es sich mit der menschlichen Arbeit: Deren Produktionsmächtigkeit ist, je nach Wirtschaftssektor, um einen Faktor 5 bis 10 kleiner als der Kostenanteil der Arbeit. Nur für das Kapital sind Produktionselastizität und Faktorkostenanteil in etwa im Gleichgewicht." … Darum wird jedes Unternehmen, das der Wettbewerb zur Minimierung seiner Produktionskosten anhält, versuchen, mit möglichst wenigen Mitarbeitern auszukommen und die anfallenden Arbeiten den in den Wärmekraftmaschinen und Transistoren des Kapitalstocks werkelnden Energiesklaven aufzubürden. Oder es weicht in andere Länder aus, in denen die Arbeitskosten deutlich niedriger sind."

[Quelle], S. 77f

Aus dem gleichen Grund bevorzugen Kapitalgeber solche Unternehmen, in denen die Produktion vor allem durch energiegetriebene Maschinen, Automaten und Computer erfolgen kann. Vernachlässigt bis hin zur Schließung werden hingegen personalintensive Bereiche, bei denen eine Automatisierung nur schwer möglich und meist gar nicht sinnvoll oder wünschenswert ist. So verschwinden mittelständische Handwerks- und Reparaturbetriebe zunehmend zugunsten der automatisierten Massenproduktion von Wegwerfgütern aus billigen, aber energieintensiv hergestellten Grundstoffen. Auch die öffentliche Hand muss sich diesen Rahmenbedingungen anpassen. Dies führt zu dem gegenwärtigen Dilemma, dass gesellschaftlich unverzichtbare Aufgaben wie Bildung, Erziehung, Forschung, Kinderbetreuung, Kranken- und Altenpflege, Kultur- und Sozialarbeit usw. aus Kostengründen sträflich vernachlässigt werden - zu Lasten der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

4. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen widersprechen zentralen Grundannahmen der vorherrschenden neoklassischen Wirtschaftsmodelle. Diese Annahmen besagen, dass

Außerdem steht die zweite Annahme im absoluten Widerspruch zu den Hauptsätzen der Thermodynamik, welche auch als das „Grundgesetz des Universums“ bezeichnet werden [Fußnote]Diese besagen sinngemäß: "Nichts kann auf der Welt geschehen ohne Energieumwandlung und Entropieproduktion" und: "Energieumwandlung bewegt die Welt". ([Quelle], S. 12f).

5. Mit falschen Modellen kann man die Realität auch nur verzerrt abbilden. Das Resultat einer darauf aufbauenden Politik sehen wir: Massenarbeitslosigkeit, Finanzkrise bei Sozialsystemen und öffentlichen Haushalten, selbst das Klima gerät aus dem Gleichgewicht. Notwendig ist ein Paradigmenwechsel, der von den empirisch feststellbaren Produktionsmächtigkeiten ausgeht und insbesondere die Energie als entscheidenden Produktionsfaktor anerkennt.

6. Das neue Modell liefert, im Gegensatz zu den bisherigen, auch eine Erklärung für bisher nur unzureichend verstandene Phänomene der modernen Volkswirtschaft:

7. Die wichtigste Forderung, die sich aus dem neuen Paradigma ergibt: Wir müssen die Schieflage zwischen den Faktoren Energie und Arbeit ausgleichen, die falschen Kostenverhältnisse an die reale Produktionsmächtigkeit der Faktoren anpassen. Wer nicht will, dass dazu die Löhne massiv gesenkt werden (im Wettbewerb mit den niedrigen Lohnkosten in Osteuropa oder Asien), der muss das bisher auf Individuen und juristische Personen angewandte Prinzip der „Besteuerung nach Leistungsfähigkeit“ auf die Produktionsfaktoren erweitern. Die daraus resultierende Formel: „Besteuerung von Energie statt Arbeit“ ist nicht neu, aber weitaus radikaler als dieselbe Forderung innerhalb der Ökologischen Steuerreform. [Fußnote]Dabei sind zwei gegenläufige Grundsätze zu beachten: zum einen braucht die Wirtschaft Zeit zur Umstellung auf neue Rahmenbedingungen, zum anderen zwingt die extreme Schieflage (siehe These 3) zu zügigen Reformschritten, um die Weichen für zukünftige Investitionen in eine andere Richtung zu lenken. [Fußnote]Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) schlägt vor, die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung vollständig durch Energiesteuern zu ersetzen; verbunden mit der Einführung eines Energiegeldes, welches die durchschnittlichen Mehrkosten pro Kopf der Bevölkerung ausgleicht. Siehe Reform-Modell.

8. Mit diesem Denkansatz müssen altbekannte Rezepte und Scheinlösungen als ungeeignet abgelehnt werden:

9. Für eine solche Reform ist mittelfristig eine europäische Lösung anzustreben. Wir müssen aber nicht darauf warten. Die Einführung solcher Steuer-Modelle auf nationaler Ebene liegt im Interesse der beteiligten Staaten und Volkswirtschaften: eine Verschiebung des Kostendrucks von der Arbeit weg zur Energie ist die wohl sinnvollste Weichenstellung für den Arbeitsmarkt [Fußnote]Eine Berechnung des SFV zeigt, dass die überwiegende Mehrzahl der Branchen zu den Gewinnern zählen würde. Verlierer sind lediglich die rohstoffintensiven (gleichzeitig arbeitsplatzminimierten) Branchen., entlastet öffentliche Haushalte und Sozialkassen und schafft gleichzeitig günstige Rahmenbedingungen für Zukunftsinnovationen und -investitionen.

10. Die zentrale Begründung der Ökologischen Steuerreform: die Durchsetzung des Verursacherprinzips für soziale und ökologische Folgeschäden, kann sehr gut mit dem neuen produktionstheoretischen Ansatz verknüpft werden (siehe Gesundheitsreform) und ist Grundlage insbesondere für eine spezifische Steuerung des Marktes: zum Beispiel im Bereich des Gesundheitswesens (Gesundheitsabgaben z.B. auf Tabak, Alkohol, fett- und zuckerreiche Lebensmittel), des Verkehrs (City-Maut, Schwerverkehrsabgabe), der Landwirtschaft (Stickstoff- und Pestizid-Abgabe u. a.) und des Klimaschutzes.

11. Es ist nicht nur möglich, sondern dringend geboten, die notwendige Umsteuerung des Marktes mit den Reformen und Entscheidungen im politischen Alltag zu verknüpfen [Fußnote]Deutlich am Negativbeispiel "Aufbau Ost". Dieser wäre weitaus sinnvoller über Energiesteuern zu finanzieren anstelle der jetzigen Solidarabgabe. Der Unterschied liegt in der Lenkungswirkung auf Arbeitsmarkt und Energieeffizienz. Eine Wende lohnt auch jetzt noch - schließlich sind es noch elf Jahre bis zum Auslaufen des Aufbau-Ost-Programms. . Das setzt allerdings die Auseinandersetzung mit alten Leitbildern wie die Klarheit über die neu einzuschlagende Richtung voraus [Fußnote]Wie dem alten "Solidarprinzip". Eine Neudefinition ist schon deshalb notwendig, weil bisher nur der Faktor Arbeit zur Finanzierung herangezogen wird. Was die Wirtschaft schon aus Kostengründen dazu ermuntert, den teuren Faktor Arbeit durch "Energiesklaven" zu ersetzen, für die keinerlei "Solidarabgaben" zu zahlen sind..

12. Die hier skizzierte wirtschaftswissenschaftliche und -politische Wende wird nur möglich sein, wenn die Diskussion aus dem kleinen Kreis der beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure in die Öffentlichkeit getragen wird. Die skizzierten grundlegend neuen Ansätze brauchen schon deshalb die Unterstützung von Umwelt- und sozialen Bewegungen, weil ein solch grundlegender Paradigmenwechsel erfahrungsgemäß auf erheblichen Widerstand dogmatischer Verteidiger der alten Lehrmodelle stoßen wird (siehe Dogmen und Scheinlösungen).


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